“I opened my eyes And looked up at the rain, And it dripped in my head And flowed into my brain, And all that I hear as I lie in my bed Is the slishity-slosh of the rain in my head. I step very softly, I walk very slow, I can't do a handstand-- I might overflow, So pardon the wild crazy thing I just said-- I'm just not the same since there's rain in my head.”
- Shel Silverstein
Das Schlimmste sind die Nächte.
1 Uhr nachts. Ich entsperre mein Handy dreimal innerhalb einer Minute. Ich schaue in den Kühlschrank, ich hab eigentlich gar keinen Hunger; ich hab Durst, trinke aber eh zu wenig, also lass ichs. Ich bin unruhig, fange drei Netflix-Serien an, versinke am Ende aber doch im Youtube-Algorithmus und spiele Quizduell auf dem Handy. Meine Aufmerksamkeitsspanne – ein Tiefpunkt. Ich habe Angst vor meinem Bett, Angst davor zu schlafen - wieder einen Tag beenden, ohne etwas geschafft zu haben. Was mache ich denn hier? Was lebe ich hier? Ich schau in den Kühlschrank und setze mich auf die Couch mit meinem Gouda. Ich hab mir noch nicht mal ein Messer geholt, ich beiße einfach in diesen Block Käse, sieht doch eh keiner. Ich entsperre mein erschöpftes Handy, Akku niedrig. „Ich habe Lymphdrüsenkrebs.“
Die Stille um mich herum drückt meinen Kopf zusammen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, mein Kopf explodiert. Ich schließe meine Augen, es dröhnt, es hört nicht auf zu dröhnen. „Es ist eine typische Krebsart für Leute in unserem Alter.“ Und was ist, wenn sie stirbt? „Die Heilungschancen sind sehr gut.“ Was passiert, wenn sie stirbt? Der Käse war halbwegs befriedigend, mittlerweile wird mir vom Geruch aber schon schlecht, ich esse weiter. Ich hab Angst. Ich hab Angst vor diesem Leben. Ich hab Angst vor meinen Gedanken. Ich hör euch nicht, ich hör euch nicht, ich hör euch nicht, ich kann euch gar nicht hören. Ich bin in meinem Wochenendhäuschen in der Fickt-euch-Allee. Der Versuch einen Ohrwurm in mein Hirn einzupflanzen scheitert kläglich. Klar, wenn man ihn einmal braucht. Mein Kopf, ein einziger Flipperautomat. Ich fühl mich so hilflos. Es ist mittlerweile 1 Uhr 30, was ist, wenn sie - was macht mich glücklich? Ablenken, ablenken. Was macht mich glücklich, wer macht mich glücklich? Mein Puls schlägt schneller, als mich ihr Gesicht zehnfach von meiner Pinnwand anlacht: Silvester, Spieleabend, Tränen laufen mir übers Gesicht, Ausflug zu ihren Eltern, Kino, das erleichtert mich, meine Abschiedsparty, Theateraufführungen, ich gebe keinen Ton von mir, leise Weinen kann ich, mein Geburtstag, ihr Geburtstag, ihre Hochzeit, alleine das ist scheiße traurig, was mach ich, wenn sie stirbt?
2 Uhr. Der Käse ist nass und sie lächelt mich immer noch an. Ich will nicht schlafen. Ich will nur, dass das aufhört, dieses Gefühl. Vielleicht will ich doch schlafen. Ganz tief schlafen, ohne denken, ohne fühlen. „Schrecklich für die junge Familie“ sagt meine Mutter „Schreib ihr jeden Tag was Schönes, sie braucht dich jetzt“. Sie braucht mich jetzt. Ich bin aber nicht da. Ich bin hier, in meinem Wohnzimmer und kann mich nicht bewegen. Das Einzige, was sich bewegt, sind meine Finger, die über die Laptoptastatur huschen und nicht aufhören, die Seite zu füllen, die vor zwei Stunden noch leer war. Sie braucht mich jetzt und ich bin gelähmt. Was mach ich denn nur, wenn sie stirbt.
Atmen ist gut. Ein, aus. Das ist leicht. Ich bin erschöpft, ich sitze zwischen Bildern, Blättern und Essensresten. Überall nur Chaos. Ich komme zu mir selbst, setze mich neben mich und sage: Hey, ich bin da. Komm, wir bringen dich mal ins Bett, mh? Komm, steh auf. Komm. Ich stehe tatsächlich auf, lege mich unter meine Bettdecke und schließe die Augen. Gerade ist mir alles egal. Alles andere halt ich eh nicht aus.
Es ist 3 Uhr. Das Schlimmste sind die Nächte.
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