“The Yesees said yes to anything That anyone suggested. The Noees said no to everything Unless it was proven and tested. So the Yesees all died of much too much And the Noees all died of fright, But somehow I think the Thinkforyourselfees All came out all right.”
- Shel Silverstein
April 2020, mitten im ersten Covid-19 Höhepunkt und der dadurch entstandenen Selbstisolation, begann ich mit 6 anderen Menschen jede Woche „Was weiß ich-Listen“ zu schreiben. Die Idee dahinter: In 10-15 Minuten alles aufschreiben, was man genau in diesem Moment wusste, egal was es war. Verschiedene Tage, verschiedene Uhrzeiten, verschiedene Schreiborte.
Januar 2021, in einer weiteren Selbstisolationszeit, habe ich mir zum ersten Mal meine sechs Listen wieder angesehen, die ich damals geschrieben hatte und fühlte mich dadurch tatsächlich sehr inspiriert und musste manchmal sogar laut lachen. Es war wie in einem alten Tagebuch zu blättern. Jetzt, wenn ich die Listen nochmal lese, fällt mir auch auf, dass zwischen den alltäglichen und banalen, ich nenne sie mal liebevoll „Gehirnfürzen“, in jeder Liste auch etwas sehr Intimes von mir steckt. Diese Minuten und dieses weiße Blatt Papier waren ein sicherer Raum für mich, in dem ich Unsicherheiten ohne Angst preisgeben konnte. Geht mir auch heute noch so, wenn ich schreibe.
Es ist ein kleines Zeitzeugnis für mich während einer schwierigen Zeit, aber auch eine Quelle der Kreativität. Weil auf eine seltsame Art und Weise repräsentieren mich diese sechs Listen ziemlich passend. Ich mache nicht immer Sinn, ich bin manchmal kindisch, manchmal erwachsen, manchmal melancholisch und manchmal einfach zu faul. Ich bin manchmal lustig, manchmal emotional, manchmal peinlich und oft nicht kreativ, wenn ich das Gefühl habe, es sein zu müssen. Ich bin verletzlich, was ich nicht selten hinter einem lustigen Kommentar verstecke. Ich bin aber auch stark und stehe dazu, wie ich bin. Alles in allem muss ich aber sagen, ich mag diese Frau in diesen Listen, genauso bekloppt wie sie ist. Und das Schönste daran: Das sind alles meine Listen. Alles Positive, was ich daraus jetzt ziehen kann, kam aus mir und gehört mir. Und allein dafür waren diese Listen es wert, geschrieben zu werden.
„Write like you’re not afraid.“
05.04.2020, 12-12:10 Uhr
· Ich habe genug, ich tue genug, ich bin genug
· Krise macht kreativ
· Es ist schön, gefragt zu werden
· Sonne ist die Wärme, die mir gerade fehlt
· Drei Portionen reichen für mich zum Frühstück
· Meditation hilft mir mehr, als ich gedacht hätte
· Manchmal braucht man Abstand von Menschen
· Smoothies sind toll, aber nicht, wenn man sie teilt
12.04.2020, 14-14:10 Uhr
· Nimm dir drei Strähnen von deinem Haar (sie sollten ungefähr gleich dick sein). Lege die rechte Strähne in die Mitter der beiden anderen. Lege nun die linke Strähne in die Mitte der beiden anderen. Wiederhole diesen Vorgang bis eine Strähne zu kurz wird, um sie weiter zu flechten. Fixiere deinen Zopf mit einem Haargummi und fertig ist dein geflochtener Zopf, der sich viel angenehmer anfühlt als ein Pferdeschwanz
· Manchmal, wenn man sich darauf konzentriert, was man weiß, hat man auf einmal Leere im Kopf
· Ich vermisse meine Familie
· Ein weißes Porzellan-Ei mit einem Loch ist kein Deko-Ei, sondern eine sehr kleine Vase
· Meine Unordnung zuhause hat einen neuen Höhepunkt erreicht
· Wenn ich hangry bin, bin ich un-er-träglich
· Ich bin jetzt gerade hangry
19.04.2020, 20:15-20:30 Uhr
· Die frische Luft tut gut, sie riecht nach französischen Kräutern
· Etwas zu wissen und etwas zu fühlen sind zwei unterschiedliche Dinge – wie beim Textlernen. Erst wenn ich den Text verinnerlicht habe, kann ich auch Gefühle damit ausdrücken
· Die Wolken sind gerade leicht rosa und kurz sahen sie aus wie kleine Elefanten
· Ich wäre gerne wieder ein Kind
· Ich habe Fernweh
· Ich mag mich im Moment nicht besonders, zu unproduktiv, zu kritisch mit mir selbst, ich verzeihe mir zu wenig
· Mein Weg zur Selbstliebe: Ich habe meinen Fernseher zu einer eigenen „Selbstliebe-Wand“ umfunktioniert mit Zielen, Inspirationen & Zitaten
· Das Rauschen von Bäumen ist ein sehr entspannendes Geräusch
· Die Wolken sind weg
· Alles kommt aus mir
03.05.2020, 16:30-16:45 Uhr
· Ich will es an meinen faulen Tagen nie zugeben, aber nach dem Sport geht es mir mental besser
· Diese Liste entsteht auf der Rückseite von einem Blatt auf dem das Stück „Unschuld“ von Dea Loher abgedruckt ist und irgendwie finde ich das ironisch
· Ein einziger Mensch kann es schaffen, dass du dich selbst nicht mehr liebst
· Staub riecht nicht gut
· Unter einer Maske fühle ich mich ängstlich und gefangen
· Ich habe meiner besten Freundin heute Morgen ein Kompliment gemacht und sie hat mit „Merry Christmas“ geantwortet, weil sie mit sowas nicht umgehen kann
· Mein Kopf ist ein Flipperautomat
· Ich fühle mich schlecht und gleichzeitig finde ich es schön, einfach dazuliegen und die Zeit verstreichen zu lassen
· Ich wünschte, es gäbe Paracetamol für die Seele
12.05.2020, 20-20:15 Uhr
· Ich habe vor fünf Minuten ein Zitat gelesen von einem Autor, Timo Reuter, und er meinte: „Der Zeitgeist verteufelt das Nichtstun, als wären wir Obst, das schimmelt, wenn es zu lange rumliegt. Aber gerade das Nichtstun erfordert sehr viel Stärke und Denken.“
· Assoziationsketten sind oft das Seltsamste, was es gibt. So komme ich im Moment von „Schimmeln“ auf „Lord Voldemort“: Ich habe über das Zitat nachgedacht, mich dann gefragt, ob die Seele schimmeln kann (was ich eine schöne Metapher finde) und dann dachte ich an Lord Voldemorts Seele.
· Ich bin in Trance zwischen Schlafen, Essen und Arbeiten. Das find ich scheiße. (Assoziationskette Nummer 2: Ich denke dabei an Tic Tac Toe)
· Ich rede zu viel, obwohl ich keinen Ton von mir gebe.
· Wenn man sich zu lange von der Seite ansieht, bildet man sich irgendwann ein Doppelkinn ein.
24.05.2020, 13:45-14 Uhr
· Nichtstun, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, ist sehr entspannend
· Dafür, dass man müde ist, ohne etwas getan zu haben, muss man kein schlechtes Gewissen haben
· Nach einem Mittagsschlaf von 2 Stunden weiß man nicht mehr, wer man ist, geschweige denn wo rechts und links ist
· Öl in der Pfanne mit Essen ist lecker
· Öl in den Haaren ist eklig
· Man muss aufhören, das Gute in Menschen zu sehen, sondern das zu sehen, was sie einem zeigen
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